Zehn Thesen zur Internet-Ökonomie

Nichts bleibt so, wie es war

Zehn Thesen zur Internet-Ökonomie

Im Folgenden gebe ich die „Zehn Thesen zur Internet-Ökonomie“ wieder, wie sie im ersten Kapitel „Die Internet-Ökonomie als strategische Herausforderung“ des Fachbuches „Die Internet-Ökonomie – Strategien für die digitale Wirtschaft“ des European Communication Councils stehen.

 

Später finden Sie zu jeder These einen gesonderten Artikel. Um die Kernaussagen vorab schon zu markieren, sind diese unterstrichen.

 

1.       Die Digitalisierung der Wertschöpfung erfaßt alle Bereiche der Wirtschaft

 

Die Realität verändert sich: Die Internet-Ökonomie erfaßt immer mehr Bereiche der Volkswirtschaft. Sie basiert auf einer neuen elektronischen Infrastruktur, die den Wechsel von physischen Atomen (materiellen Gütern) zu digitalen Bits (Informationen) beschleunigt und altbekannte Strategien zunehmend unwirksam werden läßt. Die Konsequenzen sind radikal, machen sich aber nur schleichend bemerkbar.

 

Bits kann man verkaufen und gleichzeitig behalten. Original und Kopie sind nicht voneinander zu unterscheiden. Zudem tendieren die Grenzkosten für die Produktion weiterer Kopien gegen null. Man benötigt keine Lagerhallen. Bits haben kein Gewicht und bewegen sich mit Lichtgeschwindigkeit. Bits halten sich nicht an Grenzen, ihre Bewegungen lassen sich in einer vernetzten Wirtschaft praktisch nicht kontrollieren oder behindern: Der Marktplatz von Bits ist global. (Negroponte)“

 

2.       Kritische Masse wird zum Schlüsselfaktor der vernetzten Wirtschaft

 

Aus der zunehmenden Vernetzung von Akteuren, Infrastrukturen und Objekten in der Internet-Ökonomie ergeben sich besondere ökonomische Herausforderungen (Erreichen einer kritischen Masse von Kunden, Setzen von Standards), die neuartige Spielregeln erzeugen. Als besonders typisch gilt die Preisstrategie des „Follow the Free“. Sie dient in erster Linie dem raschen Erreichen einer kritischen Masse sowie der Attraktion von Verkehr durch Abgabe von Produkten ohne direktes Entgelt. In einem zweiten Schritt werden Erlöse durch Provisionen, den Verkauf von Werbung, von Komplementärleistungen wie Serversoftware oder von leistungsfähigen Premiumprodukten oder Upgrades generiert.

 

Dies macht deutlich, daß der Wettbewerb in der Internet-Öknomie in erster Linie ein Geschwindigkeitswettbewerb ist. Hierbei stellen positive Feedbacks durch Netzeffekte das vorherrschende Marktmodell auf den Kopf, da der Überfluß den Wert eines Gutes bestimmt. Nur das Erreichen einer kritischen Masse innerhalb kürzester Zeit ermöglicht die Standardsetzung und damit den Kunden Lock-In.“

 

3.       Traditionelle Wertschöpfungsketten erodieren

 

Die zunehmende Vernetzung der Medien- und Kommunikations-Sektoren führt zur Erosion traditioneller Wertschöpfungsketten. Das Motto „ Kannibalisiere Dich selbst, bevor es ein anderer tut“ verlangt nicht nur von den Kommunikations- und Medien-Unternehmen frühzeitige Aktion. Denn auf digitalen Märkten wird mit Informationsprodukten und informationsintensiven Leistungen gehandelt, die extrem hohen Netz- und Skaleneffekten unterliegen. Verspäteter Markteintritt wird bestraft.

 

Der Grund für die Verlagerung auf multimediale Wertschöpfungsprozesse ist neben geringen Transaktionskosten eine größere Leistungsvielfalt und ein attraktiveres Angebot (media richness). Traditionelle Wertschöpfungsketten werden kontinuierlich ausgehöhlt: Bestehen wird nur derjenige, der frühzeitig Zugang zu den wachsenden Zahlungsströmen der Multimedia-Wertschöpfungsketten des Internet gewinnt. Voraussetzung für den Erfolg bleibt dabei der Mehrwert in den Augen der Kunden.“

 

4.       Der Kampf um die Aufmerksamkeit wird zur entscheidenden Wettbewerbsarena

 

Die Fülle der Angebote von Sach-, Dienst- und vor allem Informationsleistungen vergrößert sich in der Internetökonomie sprunghaft. Angesichts seiner nicht vermehrbaren Zeit und seiner Aufnahmekapazität kann der Nachfrager durch rationale Informationssuche und –verarbeitung allein die erforderlichen Auswahlentscheidungen nicht treffen. Wettbewerbsaktivitäten können sich daher nicht auf klassische Formen der Informationsbereitstellung beschränken.

 

Es kommt vielmehr darauf an, auf einer gleichsam vorgelagerten Ebene die Aufmerksamkeit des Nachfragers vorzuprägen und ihn für bestimmte Problem-, Lebensstil-, Medien-, Marken-, Verfahren- oder Produktorientierungen zu sensibiliseren, aus der dann konkrete Marktentscheidungen ohne breit angelegte Informationsverarbeitungsaktivitäten resultieren können. Als alles entscheidender knapper Faktor schält sich demnach immer mehr sowie in einem umfassenderen Sinne die Aufmerksamkeit der handelnden Subjekte heraus, um die sich der eigentliche Wettbewerb in der Internetökonomie dreht. Dabei kommt den Medien besonderes Gewicht zu.“

 

5.       Neue komplexe Wertschöpfungsnetze erfordern Wettbewerb und Kooperation

 

Die Wettbewerbsstrategie der Business Webs fordert einen strategischen Perspektivwechsel für Medien- und Kommunikations-Unternehmen. Der strategische Fokus wird zugleich enger und breiter als bisher. Enger, da man sich im Wettbewerb auf seine Kernkompetenzen beschränkt, und breiter, da man die Bildung von Allianzen mit als strategisches Element begreift.

 

Die Strategie der Business Webs stammt aus der systematischen Welt der Informationstechnologie. Bekanntestes Beispiel ist das Wintel-Gespann: Microsoft und Intel dominieren seit Anfang der 90er Jahre eine Wertschöpfungsnetz und dadurch die Profitmargen der Computer-Industrie. Grundlage des Erfolges sind die positiven Feedbacks einer komplementären Systemarchitektur, die sich mit zunehmender Vernetzung als Standard ausdehnen konnte.“

 

6.       Massenmärkte lassen sich durch Gleichzeitigkeit von Kostensenkungs- und Differenzierungsstrategie individualisieren

 

Extreme Spezialisierung, also Konzentration auf Kernkompetenzen und weltweite Vernetzung verstärken sich gegenseitig und bilden die Grundlage für eine kostengünstige und kundenindividuelle Konfiguration von Leistungspaketen sowie für individualisierte Kommunikationsstrategien. Der Einsatz intelligenter Agenten, kollaborativer Filter sowie von kundenbezogenen Interaktionsangeboten sind wichtige Konzepte zur Gewinnung von Wettbewerbsvorteilen. „

 

Die fallweise Vernetzung spezialisierter Anbieter erlaubt kundenorientierten Intermediären die flexible Konfiguration von hochdifferenzierten und individualisierten Marktleistungen. Auf diese Weise können die bislang als konträr angesehenen Grundstrategien der Kostenführerschaft (Spezialisierung) und der kundenorientierten Differenzierung eine Verbindung eingehen. Durch die gleichzeitige Realisierbarkeit individueller Massenkommunikation wird zudem wirkungsvoller One-to-One-Marketing möglich.“

 

7.       Electronic Commerce wird zum Normalfall

 

E-Commerce verstanden als Digitalisierung marktlicher Transaktionen wird mittelfristig zum Normalfall der Organisation von Geschäftsbeziehungen im Business-to-Business-Bereich mit weitreichenden Konsequenzen für die Marktstrukturen. Der Business-to-Consumer-Bereich transformiert sich demgegenüber deutlich langsamer.

 

Die Digitalisierung der Wertschöpfungskette erlaub in zunehmenden Maße eine Entbündelung der Funktion des Handels und ermöglicht den Eintritt neuer Intermediäre (z.B. Suchmaschinen etc.). Hierbei sind zwei gegenläufige Tendenzen zu beobachten. Einerseits der Wegfall von Handelsstufen durch direkte Produzenten-Konsumenten-Beziehungen und andererseits das Auftreten neuer Handelsmittler (z.B. elektronische Marktplätze).“

 

8.       Digitalisierung erleichtert Produkt- und Preisdifferenzierung

 

Das Prinzip der Produktdifferenzierung kann mittels Versioning eine neue Form der Vermarktung von digitalen Inhalten auf Medien. Und Informationsprodukte übertragen werden. Die darauf aufbauende Preisdifferenzierung eröffnet neue Möglichkeiten der Erlösoptimierung.

 

Die digitale Form ermöglicht es, die Inhalte in einzelnen Eigenschaften (z.B. Leistungsumfang, Aktualität, Präsentationsform) zu variieren, als Produktlinie zu konzipieren und zu vermarkten. Der Aufwand hierfür ist einfach und kostengünstig wie nie zuvor: Produktgestaltung at your fingertips. Grundlegende Voraussetzung ist die Identifikation der Produkteigenschaft, die von Konsumenten hinsichtlich der Nutzenstiftung als unterschiedlich eingeschätzt wird, hier Aktualität. Anschließend wird entlang der Abstufungen eine Produktlinie gestaltet. „

 

9.       Bisherige Regulierungsmodelle werden obsolet

 

Die zur Zeit in Europa vorherrschenden Regulierungsmodelle werden den laufenden Globalisierungs-, Konvergenz- und Vernetzungsprozessen immer weniger gerecht und sind von daher wirkungslos oder gar kontraproduktiv. Um den eher zunehmenden Anforderungen gerecht zu werden muß die Regulierung zugleich abstrakter, konkreter und experimenteller werden.

 

Die Entscheidungskompetenzen sind zu stark verteilt und zu wenig koordiniert. Umsetzungsverfahren sind zu kompliziert und dauern zu lange. Insbesondere in Deutschland sind, basierend auf der föderalen Struktur, die Zuständigkeiten stark aufgesplittert. Dies hat zur strategischen Fehlorientierung der Marktakteure und zur Behinderung der Marktentwicklung in der sich schnell ändernden digitalen Welt geführt. Vereinfachung, verbesserte Transparenz und Vernetzung der Zuständigkeiten aber auch eine Reduktion der Regulierungstiefe (Deregulierung) sowie das Setzen von Eingriffsschwellen, deren Überschreitung zu deutlichen Sanktionen führt, sind als Aufgaben künftiger Regulierung zu sehen. Eine solch „starke“ Regulierung ist für das europäische und nationale Wettbewerbs- und Urheberrecht sowie Jugend-, Daten- und Verbraucherschutz erforderlich.“

 

10.   Normalisierung bei der Börsenkapitalisierung führt zur Auslese bei den Internet-Firmen

 

Die jeweils aktuelle Börsenbewertung von Internet-Firmen ist ein ungeeigneter Frühindikator zur Bewertung der langfristigen Erfolgsaussichten und Durchsetzungschancen internet- und e-commerce-basierter Geschäftsmodelle in der Gesamtwirtschaft. Börsenwerte bilden sich durch Kauf-/Verkaufsentscheidungen, die auf der Grundlage einer (paradoxen) Kommunikation von Erwartungserwartungen zustanden kommen, die von mitinteressierten Dritten (Börsenanalysten, Beratern) über Medien beeinflußt werden. In den Frühphasen der Internet-Ökonomie lassen sich explodierende Börsenbewertungen oftmals als ausufernde Wetten auf die künftige Durchsetzung eines erhofften lukrativen Standards auffassen.

 

Der IPO (Börsengang) ist ein volatiles Finanzierungsinstrument für Start-Up-Unternehmen ebenso wie für etablierte Unternehmen. Die einseitige Orientierung der Börsen-Bewertung an Wachstums- oder nur Kurserwartungen bei gleichzeitiger Vernachlässigung Geschäftsrisiken ist eine zeitlich begrenzte Hype-Reaktion. Je mehr sich die Nutzung des Internet durchsetzt und je mehr sich E-Commerce zum Normalfall entwickelt, desto wichtiger werden traditionelle Finanzierungsmodelle, und desto stärker nähern sich die Maßstäbe der Börsenbewertung an.“

 

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